Titel: | Ueber Mushet's Specialstahl; von Prof. Th. Kellerbauer. |
Fundstelle: | Band 207, Jahrgang 1873, Nr. CXXXII., S. 488 |
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CXXXII.
Ueber Mushet's
Specialstahl; von Prof. Th. Kellerbauer.
Aus dem polytechnischen Centralblatt, 1873 S.
240.
Kellerbauer, über Mushet's Specialstahl.
Ueber den sogenannten Specialstahl von Mushet sind so
verschiedene Urtheile in der technischen Literatur laut geworden, daß sich Jeder den
die Erforschung des wahren Sachverhaltes interessirt, versucht fühlen muß, durch
eigene Anschauung zur Ueberzeugung zu gelangen. In Nachstehendem erlaube ich mir,
die Resultate zu veröffentlichen, die bei Versuchen mit Specialstahl, welche auf
meine Anregung in der Werkzeugfabrik von C. Reinecker in
Chemnitz vorgenommen wurden, sich ergaben. Da in dieser Fabrik fast nur Gußstahl
verarbeitet wird, so bot sich daselbst ein vortreffliches Feld zur Erprobung der
mehrfach gerühmten Eigenschaft dieses Stahles, auf hartem Material vorzüglich
Schneide zu halten. Aus dem Stabe Specialstahl, welchen Hr. Reinecker von dem Maschinenfabrikanten Knövenagel zu Hannover bezogen hatte, wurde ein Drehstahl mit zwei
Schneiden geschmiedet und in Gebrauch genommen. Derselbe hielt sich im Ganzen genommen gut, sowohl beim
Glattdrehen wie beim Gewindeschneiden, so daß wenigstens zunächst ein wesentliches
Zurückstehen desselben gegen gehärteten Huntsmanstahl nicht ersichtlich wurde, wenn
schon von irgend einem Vorzuge diesem gegenüber noch weniger die Rede war. Die
genauere Prüfung ergab übrigens schon, daß der Stahl sich nicht gleichmäßig
verhielt. Das eine Ende desselben war entschieden weicher, als das andere; während
letzteres von einer feinen englischen Feile fast gar nicht angegriffen wurde, ließ
sich ersteres bis zu einem gewissen Grade damit bearbeiten, namentlich an den
Kanten. Dieselbe Härte und Haltbarkeit der Schneide, wie bester gehärteter
Huntsmanstahl, besaß der Specialstahl jedoch keineswegs, wie die Versuche evident
zeigten, wenn er schon als ein guter Werkzeugstahl zu betrachten seyn dürfte. Es
kann vielleicht als ein Uebelstand angesehen werden, daß nach dem Schmieden eine
weitere Formung der Werkzeuge nur noch durch Schleifen möglich ist; hierdurch würde
seine Anwendung immer auf einfach geformte Werkzeuge, wie Dreh- und
Hobelstähle, Bohrer etc., beschränkt bleiben; doch ist dieß von minderem Belang. Die
größte Schwierigkeit bereitet entschieden seine Behandlung beim Schmieden. Abgesehen
davon, daß er eine enorme Härte besitzt, so daß er sich nur mit ganz besonderer
Anstrengung verarbeiten läßt, zeigt er hierbei auch sonst noch die unangenehmsten
Eigenschaften. Das Schmieden ist nämlich nur bei der gehörigen Temperatur –
Rothgluth – möglich; ist der Stahl etwas zu warm, so leidet nicht bloß seine
Qualität, wie bei anderem Stahl, sondern er wird rissig und zerspringt. Wäre nun nur
dieß allein der Fall, so könnte man es sich immer noch gefallen lassen, weil eine zu
starke Erhitzung ja überhaupt bei allem Werkzeugstahl vermieden werden muß, wenn
ihre Folgen auch nicht ganz so unangenehm sind; es kann dieselbe ja auch bei einiger
Aufmerksamkeit leicht vermieden werden. Während aber anderer Gußstahl durch
Schmieden in braunwarmem Zustande besonders an Zähigkeit und Güte gewinnt, zeigt der
Specialstahl die höchst fatale Eigenthümlichkeit, auch bei nur etwas unter Rothgluth
sinkender Temperatur unter dem Hammer sofort zu zerspringen, namentlich langrissig
zu werden, so daß seine Verarbeitung selbst dem aufmerksamsten Schmied
außerordentliche Schwierigkeiten bereitet und leicht mißlingt. Dieser einzige
Umstand muß schon genügen, die praktische Verwendung des Specialstahles fast
unmöglich zu machen; rechnet man noch hinzu, daß derselbe gegenüber den besten
gebräuchlichen Werkzeugstahlsorten Nachtheile verschiedener Art, aber nur den einen Vorzug besitzt, nicht gehärtet werden zu müssen,
ein Vortheil der sicherlich sehr wenig Werth hat, während sein Preis den des besten Huntsmanstahles
fast um das Doppelte übertrifft, so ergibt sich wohl von selbst das Resultat, daß
der Specialstahl als Werkzeugstahl kaum eine große Zukunft haben dürfte, wenigstens
so lange es nicht glückt, die Qualität desselben so weit abzuändern, daß er die
störendste Eigenschaft, das Zerspringen bei zu kaltem Schmieden, verliert.