Titel: | Zur Technik der Luftschiffahrt. |
Autor: | L. Hajnis |
Fundstelle: | Band 271, Jahrgang 1889, S. 75 |
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Zur Technik der Luftschiffahrt.
Zur Technik der Luftschiffahrt.
Unter diesem Titel war in D. p. J., 1888 270 261, eine Abhandlung von Mentz veröffentlicht, zu welcher gegenwärtige Zeilen einen berichtigenden
Nachtrag bilden sollen. In dem beregten Artikel war namentlich für den Fall mittels
Fallschirmes eine Berechnung aufgestellt, die nicht ganz zutreffend ist. Da nun das
Interesse an Fragen, welche die Luftschiffahrt betreffen, gegenwärtig ein ungemein
reges ist, in theoretischer Hinsicht aber leider mehr Unrichtiges als Richtiges über
diesen Gegenstand geschrieben und veröffentlicht wird, so werden vielleicht folgende
kurze Notizen einige aufmerksame Leser finden. Neues
bieten sie allerdings nichts, der oben angeführte Artikel scheint mir aber ein
genügender Beleg dafür zu sein, daſs eine Rekapitulirung dieser bekannten Thatsachen
ein Bedürfniſs ist.
Unsere Betrachtungen beziehen sich auf den senkrechten Fall eines Körpers in
widerstehendem Mittel, speciell in der Luft. Es sei:
G
–
das Gewicht des Körpers in Kilogramm,
f
–
sein wagerechter Querschnitt bezieh. die Fläche seiner
Wage-rechtprojection in Quadratmeter,
v
–
seine Fallgeschwindigkeit in irgend einem Augenblicke in Meterin
einer Secunde,
W
=
αfv2 – der
Widerstand des Mittels in demselben Augenblicke,
y
–
die Beschleunigung der Fallbewegung,
x
–
der senkrecht abwärts zurückgelegte Weg in Meter,
t
–
die Fallzeit in Secunden (x und t gerechnet vom Beginne desFalles, so daſs
gleichzeitig stattfindet: x = ø, t = ø und v =
ø),
g
–
9m,81 die Beschleunigung des freien
Falles,
p
=
\frac{G}{f} – die „specifische Belastung der
Wagerechtprojection“.
Die allgemeine dynamische Gleichung für irgend einen Augenblick ist dann:
\frac{G}{g}\,\gamma=G-\alpha\,f\,v^2 . . . . .
. . . . . (α)
Der Eintritt des Beharrungszustandes, d.h. des Falles mit gleichbleibender
Geschwindigkeit, ist durch die Bedingung y= ø gegeben;
nennen wir die Geschwindigkeit des Beharrungszustandes
u, so ist nach (α):
\phi=G-\alpha\,f\,u^2 woraus:
u=\sqrt\frac{G}{\alpha\,f}=\frac{p}{\alpha} .
. . . . . . . . . (1)
Die bis zu einem gegebenen Augenblicke geleistete Fallarbeit ist:
L = Gx . . . . . . . . . . (2)
Da nun die lebendige Kraft des fallenden Körpers in demselben Augenblicke eine
Energiemenge: L_2=1/2\,\frac{G}{g}\,v^2 repräsentirt, so ist der
Rest oder die vom Widerstände des Mittels absorbirte
Arbeit:
L_1=L-L_2=G\,x-1/2\,\frac{G}{g}\,v^2
L_1=G\,\left[x-\frac{v^2}{2\,g}\right] . . . .
. . . . . . (β)
Um die Gröſsen γ, v, t, L1 als Functionen der Lage des Körpers zu bestimmen, differenziren wir
zunächst Gl. (α) und erhalten:
\frac{G}{g}\,d\,\gamma=-2\,\alpha\,f\,v\,d\,v
. . . . . . . . . . (γ)
Nun ist aber: d\,v=\frac{d\,v}{d\,t}\,.\,d\,t=\gamma\,d\,t
, und vdv = vγdt = γdx,
daher aus Gl. (γ):
\frac{G}{g}\,d\,\gamma=-2\,\alpha\,f\,\gamma\,d\,x
woraus, wenn in den Grenzen der Fallhöhe integrirt wird:
\frac{G}{g}\,lognat\,\left(\frac{\gamma}{\gamma_0}\right)=-2\,\alpha\,f\,x
wo γ0
die Anfangsbeschleunigung bedeutet. Setzt man in Gl.
(α) v = ø, so ist
darin γ = γ0, und wir finden, wie ja auch a priori zu erwarten
ist, γ0
= g. Daher:
\frac{G}{g}\,\lognat\,\left(\frac{\gamma}{g}\right)=-2\,\alpha\,f\,x
. . . . . . . . . . oder:
\gamma=g\,.\,e^{-\frac{2\,\alpha\,f\,g}{G}\,.\,n}=g\,e^{-\frac{2\,\alpha\,g}{p}\,x}
. . . . . . . . . . (3)
oder wenn man setzt:
\frac{2\,\alpha\,g}{p}=C . . . . . . . . . .
(4)
auch:
\gamma=g\,e^{-C\,x} . . . . . . . . . .
(3a)
Nun ist ferner: \gamma=\frac{d\,v}{d\,t} daher: dv = γdt und – beiderseits mit v multiplicirt: vdv = γvdt = γdx. Setzt man in diese Gleichung den Werth von γ aus (3a), so ist:
v\,d\,v=g\,e^{-C\,x}d\,x . . . . . . . . . .
(δ)
woraus:
1/2\,v^2=-\frac{g}{C}\,\left[e^{-C\,x}-1\right]
Da nun nach (4) \frac{g}{C}=\frac{p}{2\,\alpha}, so ist:
v^2=\frac{p}{\alpha}\left[1-e^{-C\,z}\right] .
. . . . . . . . . (5)
Die dieser Geschwindigkeit entsprechende „Fallhöhe“
h=\frac{v^2}{2\,g} ist:
h=\frac{v^2}{2\,g}=\frac{p}{2\,\alpha\,g}\,\left[1-e^{-C\,x}\right]=\frac{1}{C}\,\left[1-e^{-C\,z}\right]
. . . . . . . . . . (6)
Die vom Widerstände des Mittels absorbirte Arbeit ist aus den Gl. (β) und (6):
L_1=G\,\left[x-\frac{1}{C}\,\left(1-e^{-C\,x}\right)\right]
. . . . . . . . . . (7)
Setzt man schlieſslich in Gl. (α):
\gamma=\frac{d\,v}{d\,t}, so ist:
\frac{G}{g}\,.\,\frac{d\,v}{d\,t}=G-\alpha\,f\,v^2 . . . . .
. . . . . woraus:
d\,t=\frac{G}{g}\,.\,\frac{d\,v}{G-\alpha\,f\,v^2}=\frac{d\,v}{g-1/2\,C\,v^2}.
Die Integration dieses Ausdruckes gibt:
t=\frac{1}{\sqrt{2\,g\,C}}\,lognat\,\frac{\sqrt{2\,g\,C}+C\,v}{\sqrt{2\,g\,C}-C\,v}
. . . . . . . . . . (8)
Führt man für v den Ausdruck aus (5) ein, so ist nach
entsprechender Reduktion:
t=\frac{2}{\sqrt{2\,g\,C}}\,lognat\,\left(\sqrt{e^{C\,x}}+\sqrt{e^{C\,x}-1}\right)
. . . . . . . . . . (9)
oder auch, wenn man beachtet, daſs
\sqrt{2\,g\,C}=2\,g\,\sqrt{\frac{\alpha}{p}}:
t=\frac{1}{g}\,\sqrt{\frac{p}{\alpha}}\,lognat\,\left(\sqrt{e^{C\,x}}+\sqrt{e^{C\,x}-1}\right)
. . . . . . . . . . (9a)
Die hier entwickelten Gleichungen gestatten ein vollständiges Ueberblicken des
Vorganges und lösen alle auf denselben bezüglichen Fragen – natürlich nur insofern
die Bedingungen, auf Grund welcher dieselben entwickelt sind, den thatsächlichen
Verhältnissen in der Natur entsprechen.
Um einen einfachen Vergleich mit den Rechnungsresultaten des oben angeführten
Artikels zu ermöglichen, machen wir für die einzelnen Gröſsen dieselben
ziffermäſsigen Annahmen, wie Herr Mentz, d.h. wir
setzen:
\left. {{G=80^k\ f=10\,m^2\ \mbox{daher:}\
p=\frac{G}{f}=8}\atop{\alpha=0,12}} \right\}.\ .\ .\ .\ (10)
Der Werth α = 0,12 ist allerdings für einen Fallschirm
gewöhnlicher Construction durchaus nicht zutreffend, da es sich aber nur um
vergleichsweise Rechnungen handelt, mag er beibehalten werden. Es ist
schlieſslich:
C=\frac{2\,\alpha\,g}{p}=0,2943 . . . . . . .
. . . (11)
Die Geschwindigkeit des Beharrungszustandes ist nach Gl. (1):
u=\sqrt{\frac{p}{\alpha}}=\sqrt{\frac{8}{0,12}}=8,165^m/_{Sec.}
. . . . . . . . . . (12)
Dieses Resultat stimmt mit dem von Herrn Mentz
gefundenen überein (= 8m,2 S. 263). Anders verhält
es sich aber mit der Zeit, in welcher – bezieh. mit der Fallstrecke x, nach welcher der Beharrungszustand eintritt. Nach Herrn Mentz wird der Fall bereits nach 0,82 Secunden am Ende einer Fallstrecke von 3m,33 gleichförmig und
nimmt daselbst die Geschwindigkeit 8m,2 an. Die
thatsächlichen Verhältnisse sind jedoch ganz andere. Aus Gl. (3) ist ersichtlich,
daſs die Beschleunigung Null wird für x = ∞, welchem
Werthe nach Gl. (9) auch eine unendliche Fallzeit entspricht, d.h. die Fallbewegung
kann nie im strikten Sinne des Wortes gleichförmig
werden, sondern dieselbe nähert sich nur in unbegrenztem Maſse der Gleichförmigkeit.
Allerdings ist es aus dem Wesen der Function e–Cx ersichtlich, daſs
die Beschleunigung gleich anfangs sehr rasch abnimmt und sich später nur sehr
langsam ändert. Es wird also verhältniſsmäſsig bald eine Geschwindigkeit erreicht
werden, welche der Beharrungsgeschwindigkeit nahe kommt. Wollte man in diesem praktischen Sinne von der Erreichung eines
„Beharrungszustandes“ sprechen, so wäre zunächst festzustellen, welche
Beschleunigung als „vernachlässigbar klein“ angesehen werden soll, was
selbstverständlich Geschmackssache ist. Setzt man in Gl. (3a) auſser den
Zifferwerthen aus (10) (11) noch x = 3,35, so erhält
man γ = 3,660m/sec. Es ist das eine Gröſse, die keineswegs als
„vernachlässigbar klein“ betrachtet werden kann. Nimmt man andererseits
an, daſs die Bewegung als praktisch gleichförmig zu betrachten sei, sobald die
Beschleunigung nicht gröſser ist, als y = 0m,005, so erhält man aus Gl. (3a) eine diesem
Zustande entsprechende Fallhöhe von 26m.
Ebenso wenig zutreffend sind die übrigen von Herrn Mentz
berechneten Gröſsen. Es wird das am besten ersichtlich, wenn aus den oben
entwickelten Gleichungen eine zusammenhängende Reihe von Werthen berechnet
wird.Selbstverständlich gelten diese Werthe nur für die früher beispielshalber
gewählten Gröſsen: g = 80, f = 10, a = 0,12.
Der allgemeine Verlauf der Gröſsenänderung ist
jedoch auch für andere Annahmen derselbe.
Wir erhalten:
für den Fallraum x
=
0
3
5
10
50
∞
die Geschwindigkeit v
=
0
6,253
7,085
7,947
8,165
8,165
die Geschwindigkeitshöhe
h=\frac{v^2}{2\,g}
=
0
1,993
2,618
3,219
3,400
3,400
die Fallzeit t
=
0
0,84
1,14
1,79
6,70
∞
die Beschleunigung γ
=
9,81
4,057
2,268
0,517
0,000004
ø
die gesammte Fallarbeit L
=
0
240
400
800
4000
∞
die vom Widerstande absorbirte Arbeit L1
=
0
80
190
542
3728
∞
die Energie im fallenden Körper L2
=
0
160
210
258
272
272
Wie ersichtlich, ist am Schlusse einer Fallhöhe von 50m – bezieh. nach etwa 6½ Secunden – die Fallbewegung schon so
gleichförmig, daſs bei einer Bestimmung der Geschwindigkeit bis auf Millimeter die
Geschwindigkeitszunahme nicht mehr ersichtlich ist. In der That beträgt die
Beschleunigung nur 4/1000mm in der Secunde.
Die Energie des Falles, welche für die Wucht des Aufprallens auf festen Boden
maſsgebend ist, wächst anfangs sehr rasch und nähert sich bald ihrem Maximalwerthe
von 272mk. Herr Mentz
berechnet dieselbe auf einem bedeutenden – leider ganz falschen – Umwege mit 110mk für den „Beharrungszustand,“ also als
oberste Grenze, und gründet darauf ein Urtheil über die Minimalgröſse eines
Fallschirmes für gefahrlose Landung. Dieses Urtheil wäre schon deshalb unrichtig,
weil, wie schon erwähnt, der Coefficient α = 0,12 für
die allgemein übliche Form der Fallschirme durchaus unzutreffend istDieser Werth wäre annähernd richtig für einen ebenen Fallschirm, der jedoch,
um senkrecht, zu fallen, absolut genau wagerecht sein müſste – eine
Bedingung, die selbstverständlich praktisch nicht zu erfüllen
ist.; es ist aber um so weniger begründet, als der gefundene Werth
für die angenommenen Verhältnisse 2½mal zu klein ist. Uebrigens hätte Herr Mentz auf Grund seiner eigenen Zahlen ohne alle
Integration die fragliche Gröſse durch eine sehr einfache Rechnung finden können,
denn es ist ja bekanntlich:
L_1=\frac{G\,v^2}{2\,g}=\frac{80\,\times\,8,2^2}{2\,\times\,9,81}=274^{mk}.
Merkwürdiger Weise geht Herr Mentz zwar von dieser
richtigen Formel aus, gelangt dann aber in Folge ganz zweckloser und unrichtiger
complicirter Rechnungen zu dem früher angeführten falschen Resultate.
Was die Betrachtungen über den Vogelflug anbelangt, so
braucht auf dieselben nicht näher eingegangen zu werden. Der Vogelflug im
eigentlichen Sinne, d.h. das Schweben und sich Fortbewegen mittels Flügelschlages, ist ein äuſserst verwickelter
mechanischer Vorgang. Das Wenige, was die (einfache) Rechnung uns über den Vogelflug
zu sagen vermag, ist von ziemlich geringem praktischen Werthe, namentlich finden
künstlichen Flug. Wir können nur sagen, daſs der Durchschnittswerth des
Flügeldruckes beim Niedergange der Flügel gleich sein muſs dem Gewichte des
Vogelkörpers. Das ist jedoch ein ziemlich ärmliches Resultat, namentlich wenn man
bedenkt, daſs die Berechnung des Flügeldruckes mittels der
Durchschnittsgeschwindigkeit des Flügelschlages nur eine grobe Annäherung ist.
Wollte man aber zu brauchbaren Resultaten über die Beziehungen zwischen den Flügel-
und Körperdimensionen, Amplituden und Anzahl der Flügelschläge u. dgl. gelangen, so
müſste man die Bewegung des ganzen Systemes – Körper
und Flügel – zum Gegenstande einer Untersuchung machen, was zu äuſserst verwickelten
Formeln führen würde. Denkt man sich im einfachsten Falle den Vogel im
Beharrungszustande und wagerecht fortfliegend oder schweben bleibend, so wird im
Allgemeinen der Schwerpunkt des ganzen Systemes sich nicht in einer Wagerechten
fortbewegen bezieh. ruhen, sondern um eine Mittellage schwingen. Diese Bewegungen
des Systemschwerpunktes können a priori nicht
vernachlässigt werden, sie compliciren aber das Studium des Fluges ganz
beträchtlich, um so mehr, da sich die Vorgänge nicht bei jedem Flügelschlage in gleicher Weise wiederholen,
sondern eine Periode sich über eine von vorhinein unbekannte Anzahl Flügelspiele
erstreckt. Will oder kann man sich daher nicht an eine Untersuchung dieses Problemes
wagen, so bleibt vom mechanischen Standpunkte über den Vogelflug eben nichts zu
sagen, als was oben bereits über die Durchschnittsgröſse des Flügeldruckes angeführt
wurde und was ja allgemein bekannt ist.
Der Rechnung vollkommen zugänglich ist allerdings das Kreisen der Vögel oder das Schweben derselben mit ruhig ausgestreckten
Flügeln (französisch planer, englisch soaring of birds). Hier bildet der ganze Vogel
ein starres System, und das Problem (abgesehen von der activen Wirkung des Vogels
beim Wenden) ist das des ebenen schiefgestellten Fallschirmes. Auch der Flug
dynamischer Flugapparate mit continuirlicher (nicht
reciprocirender) Flügelwirkung (Windschraube, hélicoptère) ist mechanisch betrachtet
viel einfacher als der Vogelflug.
Prag, den 20. November 1888.
L.
Hajnis.