Titel: | Grundlagen zur Fluglehre. |
Autor: | F. Heinz |
Fundstelle: | Band 313, Jahrgang 1899, S. 132 |
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Grundlagen zur Fluglehre.
Von F.
Heinz-Sarajevo.
Grundlagen zur Fluglehre.
Der Erfahrungssatz: „Theorie ohne Praxis ist unzuverlässig, Praxis ohne
Theorie blind“ hat sich wohl selten in so ausgezeichneter Weise
bewahrheitet, als bezüglich der Ausnutzung der Elastizität für dynamische
Flugmaschinen.
In einigen Flugmaschinen wurde auf die Ausnutzung der Elastizität gar keine
Rücksicht genommen, in anderen Flugmaschinen erscheint sie zwar angewendet, aber so,
dass sie für den Fliegeprozess wirkungslos bleibt, und in einem, erst im vorigen
Jahre in einer flugtechnischen Zeitschrift beschriebenen Flugapparate, in welchem
die Elastizität zur Wirksamkeit gelangt, wirkt dieselbe in gänzlich verkehrter Richtung und
wird die Flugfläche des Schwingenfliegers, anstatt nach abwärts, nach aufwärts
bewegt.
Warum muss durch die Entspannung der Elastizität die Bewegung der Flugfläche im
Schwingenfluge nach abwärts erfolgen, warum ist die Bewegung nach aufwärts von
Nachteil?
Mit dieser Frage gelangen wir zu der letzthin in Aussicht gestellten Untersuchung
über die Bedeutung der Elastizität für den Schwingenflug.
In Heft 11 der Zeitschrift für Luftschiffahrt vom Jahre
1893 schreibt Buttenstedt unter Berufung auf die Anschütz'schen Momentaufnahmen fliegender Störche, die
in Fig. 1 und 2 in
schematischer Form wiedergegeben sind, über die Elastizität wie folgt:
Textabbildung Bd. 313, S. 133
Fig. 1.
Textabbildung Bd. 313, S. 133
Fig. 2.
„In Fig. 1 hat der stehende Storch seinen linken
Flügel so ausgestreckt, dass der Flügeloberarm horizontal liegt. Die
Verlängerung dieses Oberarmes ist die punktierte Linie a. Die Flügelspitze des Flügels liegt weit unter dieser Linie, denn
der Flügel befindet sich im Zustande elastischer Ruhe.
In Fig. 2 schwebt der Storch zum Neste, er hängt
mit seiner Schwere in den deshalb elastisch gespannten Flügeln. Die rechte
Flügelspitze liegt weit über der Punktierten a; die
Differenzlage des Flügels von der Lage unter a bis
über diese Linie repräsentiert die Vertikalspannkraft, welche gleich ist der
Schwere des Vogels.
Der Vogel ist bei der in Fig. 1 schematisch
angedeuteten Stellung nicht im stände, stehend seinen Flügeln durch seine
Muskelkraft die Spannung zu verleihen, wie es die in Fig. 2 angedeutete Stellung erfordert, dazu ist durchaus die
Schwerkraft nötig.“
Wenn also der Storch Flügelschläge ausführt, so werden die Flügel abwechselnd einmal
in die Stellung Fig. 1, darauf wieder in die Stellung
Fig. 2 gelangen. Die Flügel sind in Fig. 2 zum Schlage ausgeholt, die Elastizität ist
gespannt. Werden nun die Flügel von der Muskelkraft des Vogels abwärts bewegt, in
die Stellung Fig. 1 gebracht, so tritt Entspannung
der Elastizität ein und dadurch wird der Muskelkraft die Abwärtsbewegung der Flügel
erleichtert.
Daraus geht schon mit genügender Deutlichkeit hervor, dass sowohl die Elastizität wie
die Schwerkraft für den Flug von Vorteil ist, denn die Schwerkraft bewirkt die
Spannung der Elastizität, die Entspannung der Elastizität erleichtert der
Muskelkraft die Abwärtsbewegung der Flügel und aus der Flügelbewegung ergibt sich
der Flug.
Textabbildung Bd. 313, S. 133
Wellenthal. Wellenkamm.
Wäre die Elastizität in umgekehrter Weise angeordnet, d.h. wäre sie in Stellung Fig. 1 in gespanntem, dagegen in Fig. 2 in entspanntem Zustande, so müsste die Spannung
der Elastizität von der Muskelkraft allein besorgt werden, die Abwärtsbewegung der
Flügel wäre mühsamer, ja wahrscheinlich unmöglich, da die Schwere des Vogelrumpfes
der Spannung der Elastizität direkt entgegen wirken würde, während die
Aufwärtsbewegung der Flügel durch das Zusammenwirken der Muskelkraft, der
Entspannung der Flügelelastizität in der Richtung nach oben und durch die Wirkung
der Schwere des Vogelrumpfes nach unten mit einer Heftigkeit vor sich gehen würde,
welche den Verlust der etwa vorher erworbenen Höhe zur Folge haben müsste, wie dies
der Versuch mit dem obenerwähnten Schwingenflieger gezeigt hat.
Damit wäre die oben gestellte Frage schon beantwortet, warum durch die Entspannung
der Elastizität die Flugfläche nach abwärts bewegt werden muss, warum sie in
entgegengesetzter Richtung wirkend von Nachteil ist.
Dagegen erhebt sich nun eine andere Frage, ob es dem Menschen bei der Nachahmung des
Vogelfluges möglich und ob er gezwungen ist, die Flugflächen wie der Vogel zu
bewegen, ob er eventuell auch ohne Auf- und Abbewegung der Flugflächen zu fliegen
vermag.
Für den Segelflug ist weder ein Auf- und Abbewegen der Flugflächen, noch die
Mitwirkung der Elastizität erforderlich, weil derselbe, wie wir bereits früher
gesehen haben, durch die vom Stirnwinde geweckte Reaktivkraft des Flugkörpers
ermöglicht wird; aber zur Erzeugung dieses Stirnwindes ist bei ruhiger Luft eine
grosse Anfangsgeschwindigkeit des Flugapparates erforderlich, wozu unsere dermaligen
Treibapparate, Schraube und Rad, nicht genügen dürften.
Auf jeden Fall steht fest, dass der Vogel in seiner Flügelbewegung einen Treibapparat
besitzt, der Schraube und Rad an Leistungsvermögen und Kraftökonomie weit
übertrifft; es wird sich daher schon aus diesem Grunde empfehlen, zu untersuchen,
inwiefern es dem Menschen möglich wäre, diese Flügelbewegungen in den Flugapparaten
nachzuahmen.
Wie wir gesehen haben, wird die Deformation der Flügel aus der Stellung Fig. 1 in die Stellung Fig.
2 bewirkt, indem der Vogelrumpf infolge seiner Schwere nach abwärts
gezogen wird und der Luftwiderstand aufwärts gegen die Flügel wirkt.
Die gleiche Deformation der Flügel käme offenbar auch ohne Mitwirkung der Muskelkraft
zu stände, wenn es möglich wäre, der Schwere des Vogelrumpfes eine abwechselnde
Stärke zu geben, denn das Maximum dieser abwechselnden Stärke müsste die Deformation
der Flügel aus Stellung Fig. 1 in die Stellung Fig. 2, das Minimum dieser Stärke müsste dagegen die
Deformation der Flügel aus der Stellung Fig. 2 in die
Stellung Fig. 1 zur Folge haben.
Auf welche Weise nun wäre es dem Menschen möglich, die durch seine Schwere
repräsentierte Kraft zu erhöhen und zu vermindern?
Die Antwort auf diese Frage lautet: Auf dieselbe Art, auf welche die Deformation
eines Sprungbrettes in einer Schwimmschule vorgenommen, in Schwingungen versetzt
wird, könnte der Mensch auch das Gewicht seines Körpers beim Fliegen in Schwingungen
und damit die Elastizität der Flugflächen in Thätigkeit versetzen, wodurch die Auf-
und Abbewegung der Flugflächen in einer Weise ermöglicht wäre, dass die Muskelkraft
des Menschen hierzu spielend ausreichte.
Aber der Tod Lilienthal's ist eine traurige Bestätigung
dafür, dass das Fliegen für den Menschen, solange ihm jede Uebung fehlt, mit grosser
Gefahr verbunden ist, dass wir uns deshalb vor jeder Uebereilung hüten und auf
Mittel und Wege sinnen müssen, wie es zu ermöglichen wäre, uns die erforderliche
Uebung zum Fliegen anzueignen, ohne dass es nötig wäre, uns sofort frei und hoch in
die Luft zu erheben.
Wenn der Mensch in einem Boote auf dem Wasser oder auf einer auf einem Fahrrade auf
dem Lande angebrachten elastischen Unterlage sein Körpergewicht in Schwingungen
versetzt, dann vermag er auch auf dem Wasser bezw. auf dem Lande die Elastizität der
Flugflächen, sowie die Auf- und Abbewegung dieser Flächen in derselben Weise zu
bewerkstelligen, wie wir oben gesehen haben; er würde so mit der Luft und dem
Fliegen allmählich vertraut werden und brächte in Erfahrung, welche
Maximalgeschwindigkeit mittels des Schwingenfluges auf dem Wasser und dem Lande zu
erreichen ist.
Betrachten wir also ein zu diesem Zwecke zu konstruierendes Boot. In Fig. 4a bedeutet ab die Seitenansicht eines Bootes, das durch
Schwingungen in das Wasser op abwechselnd bis zu den
Linien 1 und 3 eingetaucht
wird. Die Linien cd und ef
bedeuten kleine Mäste, gh und ij bedeuten deren Verstrebungen.
Das Boot besitzt vier kleine Mäste, auf, welche ein straffgespanntes Horizontalsegel
hl an den Stellen der Mäste durchlocht aufgesteckt
ist. An den oberen Enden der Mäste sind dieselben mit Kappen versehen und zwischen
diesen und dem Segel kl befinden sich die Spiralfedern
mn. s ist das Steuer, das durch die Vorrichtung r, an welchem eine Person stehend Platz nimmt,
dirigiert wird. Die Vorrichtung r dient der Person
überdies zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes. Die Fig. 4a zeigt das Boot in der
Seitenansicht bei seiner geringsten, Fig. 3a bei seiner grössten Tauchung, die Fig. 4b und 3b zeigt dasselbe Boot
bei gleicher Tauchung im Querschnitt.
In Fig. 4a und 4b besitzt die
Segelfläche hl ihre tiefste Lage an den Masten, die
Spiralfedern mn befinden sich im Zustande elastischer
Ruhe, ähnlich wie die Flügel eines Storches in Fig.
1.
In Fig. 3a und 3b zeigt die Segelfläche
kl ihre höchste Lage an den Masten, die
Spiralfedern mn befinden sich, da sie durch das
Aufwärtswirken des Luftwiderstandes gegen das Segel und das Abwärtswirken des
Bootsgewichtes um den Betrag von xy zusammengeschoben
sind, in gespanntem Zustande, ähnlich wie die Flügel des Storches in Fig. 2.
Wenn also die Person im Boote Schwingungen ausführt, so werden dadurch nicht nur die
Federn mn abwechselnd gespannt und entspannt, es wird
auch die Segelfläche kl um den Betrag xy an den Masten auf und ab bewegt.
Die Fortbewegung des Bootes geschieht auf folgende Weise:
Infolge der nach rückwärts geneigten Stellung der Mäste cd und ef erfolgt auch die Auf- und
Abbewegung des Segels vermöge der in demselben angebrachten vier Mastlöcher in
schräger Richtung.
Textabbildung Bd. 313, S. 134
Fig. 5.
Textabbildung Bd. 313, S. 134
Fig. 6.
Solange das Boot an einer Stelle schwingt und sich noch nicht fortbewegt, ist die
Bewegungsrichtung des Segels gleich cd in Fig. 5 und schliesst mit der Horizontalen den Winkel
acd in unserer Zeichnung gleich 60° ein, weshalb
sich die Kraft cd, welche das Segel kl schiefwinklig gegen den wachgerufenen Flugwind cf presst, in die Komponenten ce und ca zerlegt, von welchen die Komponente
ca die Fortbewegung des Fahrzeuges bewirkt.
Da der Flugwind cf (Fig.
5) ungemein gering ist und der Kraft cd noch
nicht genügenden Widerstand entgegenstellt, solange das Boot sich nicht fortbewegt,
so ist auch die Gleitkraft ca nur gering. Sowie sich
aber das Boot fortbewegt und die Fortbewegungsgeschwindigkeit zunimmt, wird der
Winkel acd (Fig. 5)
kleiner, in gleicher Weise nimmt auch die Grösse des Winkels bcf ab, die Kraft cf des Flugwindes wird
grösser und zunehmend der Kraft cd=\frac{M\,v^2}{2} des Bootes
ebenbürtig, dabei dieser Gelegenheit gebend, immer mehr ihre Wirkung zu äussern.
Dadurch erhalten die beiden Parallelogramme aced und
begf in Fig. 5 eine
wesentliche Kräfteverschiebung, die Seitenkräfte cg und
ce werden im Verhältnis zu den Mittelkräften cf und cd nach und nach
kleiner, die Seitenkräfte cb und ca grösser und infolge der wachsenden Grösse der
Gleitkraft ca=\frac{M\,v^2}{2}\,cos ∢
\overline{d\,c\,a} des Bootsbruttogewichtes muss auch die
Geschwindigkeit der Fortbewegung des Bootes zunehmen.
Wer vermöchte die auf diese Weise zu erreichende grösste
Fortbewegungsgeschwindigkeit des Bootes jetzt schon genau anzugeben!
Wohl aber ist es zweifellos, dass wir es mit diesem schwingenden, auf der Luft
vorwärts gleitenden Boot mit einem neuen Fortbewegungsprinzip zu thun haben, das des
Versuches wert erscheint.
Schliesslich soll noch auf einen besonderen Irrtum betreffs der Kräftezerlegung in
der Fluglehre hingewiesen werden.
Dieser Irrtum besteht darin, dass der Flugkörper nie mit seiner lebendigen Kraft
\frac{M\,v^2}{2}, wie es doch bezüglich des Schwingenfluges
wegen der Auf- und Abbewegung des Flugkörpers
erforderlich wäre, sondern stets nur mit seinem Gewichte in Rechnung gezogen wird,
daher bis jetzt in der Fluglehre eine Zerlegung der Kraft, welche die Fläche
schiefwinklig gegen den Luftwiderstand bewegt, völlig unbekannt ist, auch für den
Fall, wo die Flugfläche eine schräge Lage zur Horizontalen besitzt und die Schwere
des Flugkörpers schon nach dem Gesetze von der schiefen Ebene in Seitenkräfte
zerlegt werden müsste.
Ein weiterer Irrtum besteht darin, dass bisher in den Kräftezerlegungen die
Mittelkraft cf des Luftwiderstandes (Fig. 5) und deren unwirksame Seitenkomponente cb weggelassen und nur die Seitenkomponente cg allein berücksichtigt wurde.
Da die Fluglehre bisher weder die lebendige Kraft \frac{M\,v^2}{2}
noch das Gewicht des Flugkörpers in Seitenkräfte zerlegte, so blieb ihr der Vortrieb
infolge der Gleitkraft ca fremd und sie war daher
genötigt, für den Vortrieb stets eine schräge Lage der Flugfläche in Rücksicht zu
ziehen.
Wenn eine schräge Lage der Flugfläche angeordnet wird, die Luftwiderstandskomponente
cg eine nach vorn geneigte Richtung annimmt (Fig. 6), dann wirken auf die Fortbewegung des
Flugkörpers nicht bloss die Seitenkomponente ch des
Luftwiderstandes cg, wie die Fluglehre bisher annahm,
sondern auch die Seitenkomponente ca jener Kraft cd, welche die Fläche schiefwinklig gegen den Luftwiderstand bewegt, gleichviel welcher Namen
dieser Kraft cd gegeben wird: lebendige Kraft,
\frac{M\,v^2}{2}, oder Gewicht des Flugkörpers, Muskelkraft
oder Maschinenkraft. Da die beiden Vortriebkräfte ch
und ca (Fig. 6) nicht
die gleiche Richtung besitzen, so ist aus denselben nach der Lehre vom
Kräfteparallelogramm die Mittelkraft ci zu ermitteln,
die also mit dem Teil ch treibend, mit dem Teil ca gleitend auf die Fortbewegung des Flugkörpers
wirkt.
Für die Fortbewegung des beschriebenen Bootes würde wahrscheinlich die Gleitkraft ca (Fig. 5) vollkommen
ausreichen.