Titel: | Die Dampfkesselexplosionen im Jahre 1923. |
Autor: | Walter Parcy |
Fundstelle: | Band 340, Jahrgang 1925, S. 3 |
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Die Dampfkesselexplosionen im Jahre
1923.
PAREY, Die Dampfkesselexplosionen im Jahre 1923.
In Deutschland sind laut reichsamtlicher Statistik während des Jahres 1923 sechs
Dampfkesselexplosionen erfolgt. Davon sind vermutlich zwei durch unzulässig hohe
Dampfspannung verursacht worden, ferner je eine durch Wassermangel, örtliche
Ueberhitzung und schlechte Beschaffenheit des Bleches. In einem Falle ließ sich der
Grund der Explosion nicht ermitteln.
1. Ein stehender einfacher Walzenkessel explodierte am 17. Januar 1923 in der
Branntweinbrennerei von D. Stürmlinger in Durmersheim, Bezirksamt Rastatt. Der
Kessel für 0,5 at Betriebsdruck bestand aus 5 mm starken, stumpf verschweißten
Blechen; er hatte nur ganz ungenügende Sicherheitsvorrichtungen und war zur
Ueberwachung überhaupt nicht angemeldet. Bei der Explosion wurde der untere
Kesselboden abgerissen, der Kesseloberteil 15 m weit geschleudert; Kesselhaus und
Brennereiraum wurden zerstört. AlsUrsache ist Ueberschreitung der zulässigen
Dampfspannung anzunehmen, die infolge der mangelhaften Sicherheitsvorrichtungen
nicht unschädlich entweichen konnte. Mangelhafte Schweißung des unteren Kesselbodens
dürfte das Unglück begünstigt haben.
2. Am 24. Januar 1923 explodierte ein Zweiflammrohrkessel von 80 m2 Heizfläche, 8 at Betriebsdruck auf dem
Brügmannschacht der Gewerkschaft „Glückauf“ in Stockhausen bei Sondershausen.
Das rechte Flammrohr wurde auf 3,5 m Länge eingebeult, die vorderste Rundnaht
aufgerissen, die Niete und der Versteifungsring abgeschert. Die vorderen
Bodeneinhalsungen hatten Anbrüche auf der halben Umfangslänge. Die Steine der
hinteren Kesseleinmauerung wurden etwa 15 m weit geschleudert. Irgendwelche
Anzeichen von Wassermangel, wie Anlauffarben oder eingebrannte Wasserlinien unter
dem zulässigen Niedrigstwasserstand, waren nicht aufzufinden. Auf den Feuerplatten,
namentlich denen des aufgerissenen Flammrohres, fand sich jedoch ein etwa 10 mm
dicker schieferartiger Kesselsteinbelag, der wohl örtliche Ueberhitzung infolge
Wärmestaus hervorgerufen hat und als Explosionsursache anzusehen ist. Zwei
Nachbarkessel gleicher Bauart zeigten ebenfalls Anbrüche an den vorderen
Bodeneinhalsungen, beginnende Abflachung der Flammrohre und Anfressungen von etwa 2
mm Tiefe. Als Speisewasser diente neben Niederschlagwasser aus Wärmeschlangen
Frischwasser, dem ein „Kesselsteinverhütungsmittel“ aus Graphit und
Aluminiumstaub zugesetzt wurde. Dieses hatte beigetragen zur Bildung und Ablagerung
zähen Kesselsteins von schlechtem Wärmeleitvermögen.
3. Ein Dampffaß zur Rückgewinnung von Oel aus Eisenspänen zerplatzte am 12. April
1923 in der Gußstahlkugelfabrik vorm. Friedrich Fischer in Schweinfurt am Main. Es
bestand aus einem liegenden flußeisernen Zylinder, dem Beschickungsraum, von 750 l
Inhalt, der mit einem Dampfmantel von 50 l Inhalt umgeben war. In letzterem war ein
höchster Druck von 2 at zugelassen, im Beschickungsraum sollte bei sachgemäßem
Betrieb nur geringer Ueberdruck entstehen. Den öligen Eisenspänen wurde
Trichloräthylen zur Entölung zugesetzt. Anscheinend waren im Beschickungsraum
Trichloräthylendämpfe zurückgeblieben, die durch die Hitze des Dampfmantels auf hohe
Spannung gebracht waren und dadurch zur Explosion führten.
4. Infolge Ueberschreitung des zulässigen Dampfdruckes zerknallte am 12. Juni 1923
ein 49 Jahre alter, in England gebauter Lokomotivkessel in dem Torfbruch
Groß-Trinkaus, Kreis Allenstein. Der Langkessel hatte 840 mm Durchmesser, eine Länge
von 1690 mm und war zuletzt mit 4 at Druck betrieben worden. Die Lokomobile leistete
normal 8 PS, war jedoch dem jetzigen Energiebedarf von etwa 20 PS dadurch angepaßt
worden, daß beide Sicherheitsventile durch Verkeilen, Beschweren mit einem
Schraubenschlüssel und andere nicht mehr zu ermittelnde Kunstgriffe außer Betrieb
gesetzt waren. Dem erhöhten Dampfdruck konnten die sehr spröden schweißeisernen
Bleche nicht standhalten. Der Kessel riß im vollen Blech an der Feuerbüchse und in
der Nietnaht an der Rauchkammer und wurde aufgerollt. Die Bruchstellen zeigten
blättriges Gefüge. Der Kesselmantel flog bei der Explosion 66 m weit, der Kessel 2,5
m weit. Das Unglück forderte ein Menschenleben.
5. Wasserrohrkessel aus dem Jahre 1909 mit 306,6 m2
Heizfläche und 8,34 m2 Rostfläche; der
Betriebsdruck war 12 at. Der Kessel explodierte am 12. Oktober 1923 im Städtischen
Elektrizitätswerk zu Hannover. Dabei wurde der linke Oberkessel neben der Längsnaht
des mittleren Schusses aufgerissen. Der hintere Schuß wurde zur Seite gedrückt und
warf den rechten Oberkessel auf den benachbarten Kessel. Das aufgerissene Blech
hatte erhebliche Schlackeneinschlüsse, die als Ursache der Explosion anzusprechen
sind. Begünstigt wurde diese zweifellos durch die an einer einfachen
Ueberlappungsnaht stets auftretenden Biegungsspannungen. Die Bleche waren sachgemäß
verstemmt und wiesen keine Beschädigungen der Platten an den Stemmkanten auf. Eine
Person erlitt leichte Verletzungen.
6. Ein Zweiflammrohrkessel, Baujahr 1900, von 9,84 m Länge, 2,1 m Durchmesser und 7
at Betriebsdruck explodierte am 12. Dezember 1924 in der Brikettfabrikder
Braunkohlen werke Leonhard A.-G. in Zipfendorf, Kreis Zeitz. Die drei vordersten
Schüsse des linken Flammrohres wurden stark durchgebeult und lösten sich in ihren
Rundnähten von einander. Der Kessel wurde aus einer Ringleitung gespeist und hatte
aus dieser mehr Wasser entnommen als die übrigen Kessel, da seine Dampfspannung
niedriger gehalten war. Nachdem der Wasserspiegel so hoch gestiegen war, daß er im
Wasserstandglas nicht mehr gesehen werden konnte, öffnete der Kesselwärter den
Ablaßhahn und versäumte, ihn rechtzeitig zu schließen. Dadurch trat Wassermangel
ein, der die Explosion zur Folge hatte.
Unserem Bericht über die Dampfkesselexplosionen im Jahre 1922, Band 339, Heft 12, ist
noch nachzutragen die Explosion eines Einflammrohrkessels am 17. November 1922 auf
der Zeche Schlägel und Eisen in Scherlebeck, Landkreis Recklinghausen. Der Kessel
war im Jahre 1900 erbaut, hatte 93,26 m2
Heizfläche, 2,25 m2 Rostfläche und wurde mit 8 at
Dampfdruck betrieben. Die beiden vordersten Schüsse des Flammrohres waren 1912
erneuert worden. Das gewellte Flammrohr wurde im Scheitel der vorderen halben Länge
tief eingebeult, sämtliche Niete der zweiten Flammrohrrundnaht auf dem oberen halben
Umfang abgeschert. Im vollen Blech waren keine Risse festzustellen. Der Kesselkörper
drehte sich 20° um seine Längsachse und schob sich 4 m vorwärts; Rauchschieber,
Deckel und der letzte Kesselstuhl flogen 30 bis 60 m weit. Blaue Anlauffarben sowie
die Lage der Einbeulung im Scheitel waren deutliche Anzeichen, daß Wassermangel die
Explosion verursacht hatte. Möglicherweise hat Schlamm und Kesselstein die Bohrungen
der Wasserstandsanzeiger verstopft oder der Kesselwärter hat die leeren Gläser für
voll angesehen, da abgeschlackt werden sollte, wofür stets hoher Wasserstand
gehalten wird. Dabei tritt leicht Ueberspeisung ein. Eine durch Schwimmer betätigte
Sicherheitspfeife hat versagt; der Grund war nicht mehr festzustellen, da sie mit
fortgeschleudert und nicht mehr gefunden wurde. Bei der Explosion wurden drei
Personen schwer, fünf leicht verletzt.
Gegenüber den 12 Explosionen im fahre 1921 und 11 im Jahre 1922 ist die Abnahme auf 6
Explosionen im Jahre 1923 festzustellen. 1921 starben 16 Personen durch
Dampfkesselexplosionen, 22 wurden verletzt. Das Jahr 1922 wies bei den Explosionen 8
Todesfälle, 9 Schwer- und 21 Leichtverletzte auf, während 1923 die Statistik
erfreulicherweise nur von einem Todesfall und einem Leichtverletzten berichtet.
Zu den Ursachen der Explosionen ist zusammenfassend zu sagen, daß immer wieder
hingewiesen werden muß auf die Gefahren, die durch mangelhafte Instandhaltung der
Wasserstandzeiger oder durch leichtsinniges Außerbetriebsetzen der
Sicherheitsvorrichtungen entstehen. Die größte Zahl der alljährlichen
Dampfkesselunfälle ist auf derartige Ursachen zurückzuführen. Der Prüfung der
Kesselbaustoffe ist größte Aufmerksamkeit und Sorgfalt zu widmen; die bisher
gesetzlich vorgeschriebenen Prüfungsarten sind durchaus nicht in allen Fällen
ausreichend. Zusatz von Chemikalien zum Speisewasser zwecks Verhinderung der
Kesselsteinbildung ist meist nutzlos, oft direkt schädlich. Die Reinigung des
Wassers vor der Speisung, wofür es verschiedene bewährte Verfahren gibt, dürfte
immer vorzuziehen sein. Walter Parcy.